„Da will ich richtig Körpereinsatz sehen!“ Wie sich herausstellt, nicht nur das: Auch die Betonung soll stimmen und dann muss jemand noch mächtig sauer gucken.
Diese Forderungen stellt Ernst H. Döring. Und er tut das Freitag für Freitag, fast jede Woche, seit 40 Jahren. Damals hat er mit ein paar Begeisterten eine Theatergruppe an der Trinitatis-Kirchengemeinde in Berlin-Charlottenburg gegründet, die er noch heute mit Freude und Hingabe leitet. Das Laienspielensemble ist gewachsen, mancher Name taucht nun schon in der zweiten Generation auf.
Neben Ernst H. Döring, mit einem dicken Manuskript auf den Knien, sitzt Marita Walczak. Die Augen der Souffleuse fliegen über den Text von „Und ewig rauschen die Gelder“. Auch sie ist seit 1971 dabei und blättert zurzeit im 34. Bühnenwerk. Fast jedes Jahr proben die Darsteller ein neues Stück. Wobei es schwierig ist, ein passendes zu finden. Ernst H. Döring und seine Gruppe müssen oft lange suchen: Die meisten Werke sind für kleinere Ensemble geschrieben. Bei 11 oder 13 Mitspielern ist die Auswahl begrenzt. So kommt es, dass in diesem Jahr eine Farce des Briten Michael Cooney inszeniert wird, die Regisseur Döring wegen ihres hohen Anspruches eigentlich ablehnte – es fand sich kein geeignetes Anderes. „Wir wachsen ja mit unseren Aufgaben“, sagt Döring lachend.
Das Refugium für die Proben ist ein Saal im Gemeindehaus an der Leibnizstraße. Noch deuten Stühle die späteren Türen in der Bühnendekoration an, kommen die Mitstreiter, die durchweg im Arbeitsleben stehen, in Jeans und T-Shirt, um die Texte in Abschnitten einzustudieren. Noch wird an unebenen Stellen gefeilt und Marita Walczak schreibt die in der Situation gegebenen Regieanweisungen in ihr Skript. Im Herbst wird, wie von Zauberhand, alles sitzen. Dann ist unter den Händen der Ensemblemitglieder ein aufwändiges Bühnenbild entstanden, die Kostüme sind mit Hilfe einer Schneiderin fertig gestellt, Regieanweisungen, Frisuren, Maske, Ton und Beleuchtung sind klar.
Der Tourenplan, nach dem insgesamt 17 Leute im Herbst auf Achse sind, steht bereits. Vor der Wende spielten sie ausschließlich in West-Berliner Kirchengemeinden, inzwischen in der ganzen Stadt. Auch ein Segelclub wird zur Aufführungsstätte. Und natürlich touren sie durch Brandenburg: Großbeeren, Ludwigsfelde und gerade kam eine Anfrage aus Kyritz. Überall wird nur einmal am Wochenende gespielt.
Nebenschauplätze der Handlung entstehen: Die ganze Staffage muss an die vielen Spielorte gebracht, ausgepackt, aufgestellt werden. Und anschließend wieder zurück auf den Wagen, damit man an die nächste Stätte ziehen kann. Jedes Mal eine logistische Herausforderung. Aber die Truppe macht einen entspannten Eindruck. Es wird viel gelacht und Ernst H. Döring, seines Zeichens Vermessungsingenieur, achtet nach all den Jahren noch sehr genau aufs Detail: Eine Schüssel mit Seifenschaum steht auf dem Tisch. Die Zeit wird gestoppt, bis der Schaum zerfällt. Damit es auf der Bühne bestimmt klappt.
„Wenn die Darsteller im TV leichtfüßig mit dem Koffer unterwegs sind, könnte ich auswachsen“, sagt er. Bei seinen Schützlingen kommt natürlich etwas Schweres in den Koffer, damit es echt wirkt. Die Theatergruppe finanziert ihre Aktivitäten selbst. Sie gehört zur Gemeinde, manche Mitglieder haben extra hierher gewechselt. Den Probenraum bekommen sie gestellt, andere Ausgaben vom Stoff bis zum Nagel versuchen sie, durch ihre Auftritte zu refinanzieren. Fahrtkosten zahlt jeder selbst. Zur Kostenminimierung halten alle die Augen offen, wie heute: „Ich kann eine ausgeschlachtete Waschmaschine besorgen“, sagt jemand und alle freuen sich. Ein Stück weniger auf dem Requisiten-Wunschzettel.
Wer meint, dass Laienspiel anspruchsloses Niveau bedeutet, hat sich getäuscht. In der amüsanten Geschichte um Eric Swan, der unerwartet in die Mühlen des Sozialstaates gerät, laufen Darsteller wie Julia Hertel und Martin Möbius überzeugend zur Hochform auf. Und wenn der letzte Vorhang im November fällt, läuft die Suche nach dem nächsten Stück bereits.
[Dieser Artikel, geschrieben von Andrea von Fournier, wurde mit freundlicher Genehmigung aus der Evangelischen Wochenzeitung "die Kirche" vom 8. Juni 2011 übernommen.]